Weniger Mitarbeiter, höhere Erwartungen: Wie Versicherer jetzt richtig reagieren

Der demografische Wandel verändert den Arbeitsmarkt schneller, als viele Unternehmen sich anpassen können. Bis 2035 droht der Verlust von Millionen Fachkräften – mit dramatischen Fol-gen für Produktivität, Servicequalität und Wettbewerbsfähigkeit.
Die strukturellen Veränderungen am Arbeitsmarkt spitzen sich weiter zu. Während viele Unter-nehmen händeringend nach Fachkräften suchen, verschiebt sich die Altersstruktur der Bevölkerung rasant. Bereits heute sind mehr als 22 Millionen Menschen in Deutschland über 60 Jahre alt – Tendenz steigend. Gleichzeitig beenden die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer-Generation zunehmend ihr Erwerbsleben. Laut einer Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung wird Deutschland bis 2035 rund sieben Millionen Arbeitskräfte verlieren. Ein dramatischer Rückgang, der tiefgreifende Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft mit sich bringt.
Besonders betroffen sind Branchen mit hohem Personalbedarf, etwa der Versicherungssektor. Diese Bereiche kämpfen bereits heute mit Engpässen und Überlastung. Der Wettbewerb um qualifizierte Mitarbeiter hat sich verschärft. Unternehmen müssen nicht nur mit besseren Gehältern und flexibleren Arbeitsmodellen punkten, sondern gleichzeitig ihre Produktivität steigern und ihre Kundenbeziehungen intensivieren. Ohne strategische Antworten auf diese strukturellen Veränderungen droht vielen Unternehmen ein Verlust an Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit.

Ein zusätzlicher Faktor ist die regionale Ungleichverteilung: Während Ballungszentren zumindest theoretisch über ein breiteres Bewerberfeld verfügen, sind ländliche Regionen von einer Überalterung der Bevölkerung besonders betroffen. Dies liegt zum einen an der Zuwanderung junger Menschen in die Städte mit der Aussicht auf eine bessere Ausbildung und einen besseren Beruf. Zum anderen können sich gerade ältere Menschen die oft hohen Mieten in den Großstädten nicht mehr leisten und ziehen daher eher aufs Land.[3] Unternehmen dort sehen sich zunehmend gezwungen, überregionale Rekrutierungsstrategien oder sogar Standortverlagerungen in Betracht zu ziehen.
Wenn Wissen geht und Ansprüche wachsen
Der demografische Wandel wirkt doppelt: intern wie extern. In den Unternehmen selbst geht mit dem Ausscheiden älterer Mitarbeiter ein erheblicher Erfahrungsschatz verloren. Viele Unter-nehmen haben keine systematische Wissenssicherung etabliert. Mentoring-Programme, digitale Wissensdatenbanken oder strukturierte Nachfolgemanagement-Prozesse fehlen oft oder greifen erst zu spät. Die Folge: Kompetenzlücken, Reibungsverluste und mittelfristig ein Rückgang von Servicequalität und Innovationskraft.
Hinzu kommt eine steigende Altersdiversität in Teams. Führungskräfte müssen künftig generationsübergreifend managen, Kommunikationsstile anpassen und dafür sorgen, dass jüngere und ältere Mitarbeiter gleichermaßen eingebunden und gefördert werden. Eine zentrale Rolle spielt dabei die betriebliche Weiterbildung: Lernformate müssen modular, praxisnah und altersgerecht gestaltet sein, um Wissen effektiv zu vermitteln.
Hinzu kommt, dass sich die Erwartungen der Kunden in den vergangenen Jahren grundlegend verändert haben. Sie erwarten heute im Servicebereich eine nahtlose, schnelle und personalisierte Ansprache über alle Kanäle hinweg – von der Website über den Chat bis zum Telefongespräch. Dabei geht es nicht nur um digitale Verfügbarkeit, sondern um echte Erreichbarkeit, transparente Kommunikation und einfache, selbsterklärende Services. Unternehmen stehen damit vor der Herausforderung, bestehende Strukturen und Prozesse konsequent an diesen veränderten Anspruch anzupassen – technologisch, organisatorisch und kulturell.
Aufseiten großer Serviceorganisationen werden diese Herausforderungen nicht selten durch historisch gewachsene, häufig fragmentierte Systemlandschaften verschärft. Prozesse verlaufen in Silos, Informationen sind isoliert, Zuständigkeiten unklar. Wer die demografischen Herausforderungen bewältigen will, muss diese strukturellen Hemmnisse abbauen – und integrierte, abteilungsübergreifende Lösungen schaffen.
Wachstum mit weniger Händen – wie Digitalisierung gezielt entlastet
Technologie allein ersetzt keine Fachkräfte, aber sie kann knappe Kapazitäten gezielt entlasten und produktivere Arbeitsabläufe ermöglichen. Intelligente Lösungen können Aufgaben aus verschiedenen Bereichen bündeln, sie in Echtzeit analysieren und skillbasiert an die jeweils passen-den Mitarbeiter verteilen. Dabei werden sowohl Verfügbarkeiten als auch Qualifikationen berücksichtigt. Die Folge: Mitarbeiter erhalten nur Aufgaben, die sie effizient bearbeiten können. Über- oder Unterforderung wird minimiert.
Besonders im Service mit Multichannel-Kanälen – zum Beispiel mit Telefon, E-Mail und Chat – sorgt solch eine zentrale Steuerung für spürbare Entlastung. Denn Kundenanliegen werden nicht mehr mehrfach bearbeitet oder gehen in verteilten Postfächern unter. Ein intelligentes Routing verhindert Redundanzen und garantiert die Einhaltung von Service Levels.

Zusätzlich bietet der Einsatz von Künstlicher Intelligenz konkrete Vorteile: In synchronen Kanälen wie der Telefonie identifiziert ein Sprachdialogsystem automatisch relevante Informationen – z. B. Schadensart, Kundennummer oder Geburtsdatum – und leitet diese strukturiert an nachgelagerte Systeme weiter. In asynchronen Kanälen wie E-Mail oder Chat analysieren KI-Algorithmen Inhalte, extrahieren Daten und initiieren automatische Prozesse. Diese Kombination aus Automatisierung und menschlichem Know-how eröffnet ganz neue Effizienzpotenziale.
Ein weiterer technologischer Hebel ist der gezielte Einsatz von Data Analytics. Unternehmen, die ihre Prozessdaten in Echtzeit auswerten, können Engpässe frühzeitig erkennen, Kapazitäten flexibel steuern und Services bedarfsgerecht anpassen. Auch Szenarien-Simulationen – etwa für saisonale Spitzen oder krankheitsbedingte Ausfälle – ermöglichen eine vorausschauende Ressourcenplanung.
Digital denken, menschlich handeln
Trotz aller digitalen Möglichkeiten bleibt der Mensch das zentrale Element jedes erfolgreichen Services. Denn komplexe und emotionale Anliegen lassen sich nicht standardisieren. Sie erfordern Empathie, Entscheidungsfähigkeit und situatives Handeln. Deshalb darf Digitalisierung nicht als Rationalisierungsmaßnahme verstanden werden, sondern als Chance zur Befähigung.
Technologien müssen Mitarbeitern den Rücken freihalten – etwa durch die Automatisierung repetitiver Tätigkeiten oder durch intelligente Assistenzsysteme. Gleichzeitig braucht es gezielte Investitionen in Weiterbildung und kulturelle Transformation. Denn nur wer seine Mitarbeiter ernst nimmt, fördert ihre Bereitschaft zur Veränderung und erhält wertvolles Erfahrungswissen im Unternehmen.
Moderne Arbeitskulturen setzen auf Transparenz, Eigenverantwortung und lebenslanges Lernen. Sie schaffen ein Umfeld, in dem neue Technologien nicht als Bedrohung, sondern als Unterstützung wahrgenommen werden. Damit entsteht eine produktive Balance aus Effizienz und Menschlichkeit – die entscheidende Voraussetzung, um dem demografischen Wandel langfristig gewachsen zu sein.
Drei Faktoren für zukunftsfähige Unternehmen
Der Handlungsdruck ist hoch und das Zeitfenster zur Reaktion begrenzt. Unternehmen, die jetzt in moderne, integrierte Lösungen investieren, sichern sich nicht nur einen operativen Vorsprung, sondern stärken auch ihre Resilienz gegenüber künftigen Veränderungen.
Ein erster Schritt besteht darin, die eigene Ausgangslage sachlich zu analysieren: Wo liegen die größten Engpässe? Welche Prozesse sind nicht zukunftsfähig? Wo bleibt wertvolles Wissen ungenutzt? Auf dieser Basis lassen sich gezielte Maßnahmen ableiten – von der Einführung smarter Automatisierungstools bis hin zur strategischen Personalentwicklung.
Dazu gehören insbesondere drei Maßnahmenkategorien:
- Der Aufbau flexibler Arbeitsmodelle, die auch ältere Mitarbeiter länger im Unternehmen halten.
- Die Digitalisierung repetitiver Aufgaben zur Reduktion manueller Aufwände.
- Der gezielte Wissenstransfer, etwa über Generationentandems oder digitale Lernplatt-formen.
Diese Bausteine wirken zusammen und ermöglichen einen stabilen Transformationspfad. Der Vorteil: Diese Maßnahmen lassen sich kombinieren, skalieren und auf die individuellen Anforderungen eines Unternehmens anpassen. Sie schaffen Resilienz gegenüber den Auswirkungen des demografischen Wandels – nicht nur kurzfristig, sondern strukturell.
Quellenangabe
[3] https://www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Demografischer-Wandel/Aeltere-Menschen/stadt-land.html

Dr. Moritz Liebeknecht
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